v. l.: Agnes Becker, Umweltminister Thorsten Glauber und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. - Foto: Urban Mangold
München/Hilpoltstein - pm (17.07.2024) Erstmalig seit der Annahme des Volksbegehrens Artenvielfalt – „Rettet die Bienen!“ am 17. Juli 2019 durch den Bayerischen Landtag hat der Trägerkreis des Volksbegehrens aus ÖDP, LBV, Bündnis 90/Die Grünen und Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS) nun nach fünf Jahren eine umfassende Bilanz gezogen.
Zum ersten Mal hat dafür das Team von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Hochschule Nürtingen-Geislingen alle Indikatoren des entwickelten Monitorings überprüft. Dies zeigt zwar, dass seit Verabschiedung der neuen Gesetze viele Maßnahmen umgesetzt wurden. Große Erfolge sind dabei die Ausweisung zusätzlicher Naturwälder, die Neupflanzung zahlreicher Streuobstbäume, die Einrichtung von Gewässerrandstreifen sowie die Erhöhung landwirtschaftlicher Naturschutzförderprogramme. Doch bei besonders bedeutsamen Zielen wie dem Ausbau des Biotopverbunds und des Ökolandbaus sowie der Reduktion des Pestizideinsatzes fehlt bisher noch der große Wurf. Fazit: Broschüren, Berichte und Bilanzen erhöhen noch nicht die Zahlen der Wildbienen, Insekten und anderer seltener Arten. Der Erfolg des Volksbegehrens muss am Ende allein daran gemessen werden, ob durch effektive Maßnahmen die Biodiversität in Bayern wieder zunimmt, sich der Zustand von Lebensräumen verbessert hat und wir mehr Insekten und Vögel in unserer Kulturlandschaft haben.
Erfolge des Volksbegehrens sind die Ausweisung von 83.000 Hektar Naturwäldern wurden gut 7.000 Hektar Wald neu aus der Nutzung genommen und die verpflichtende Einführung von Gewässerrandstreifen. Außerdem haben sich die spät gemähten Wiesen mehr als verdoppelt sowie die Zahl der neu gepflanzten Streuobstbäume und die Mittel im Vertragsnaturschutzprogramm. „Das sind beachtliche Erfolge, die es ohne das neue Naturschutzgesetz und die vielen Menschen, die sich dafür eingesetzt haben, nicht geben würde. Bayerns Bevölkerung hat mit dem Volksbegehren die nicht gemachten Artenschutzhausaufgaben der Staatsregierung nachgeholt“, so Agnes Becker, Beauftragte des Volksbegehrens und ÖDP-Landesvorsitzende.
Trotzdem vermisst der Trägerkreis immer noch den ernsthaften Einsatz für die wichtigsten Ziele des Volksbegehrens. „Die großen Drei sind bei weitem noch nicht abgearbeitet. So besteht der Biotopverbund derzeit nahezu ausschließlich aus Flächen, die bereits vor dem Volksbegehren schon existierten. Einfach nur Zusammenrechnen ist aber noch kein Naturschutz. Das langt hinten und vorne nicht! Bei der beabsichtigen Halbierung des Pestizideinsatzes wird wichtigen Dingen kaum Beachtung geschenkt: der Giftigkeit – weniger Menge bedeutet nicht unbedingt weniger Gift und eine ernsthafte Reduktion der mit Pestiziden belasteten Fläche wird nicht einmal angestrebt. Und schließlich herrscht beim Ausbau des Ökolandbaus atemberaubende Ambitionslosigkeit. Hier gab es im Vergleich zum Vorjahr kaum einen Zuwachs, sodass ein Erreichen der ersten gesetzten Zielmarke mit 20 Prozent im nächsten Jahr sehr wahrscheinlich krachend verfehlt wird“, kritisiert Agnes Becker weiter.
„Was zählt ist, ob es schlussendlich in unserer Landschaft wieder mehr Arten gibt. Darüber können wir mangels aktueller Daten für den Zeitraum nach dem Volksbegehren noch keine Aussage treffen. Noch sind über die Hälfte unserer heimischen Arten gefährdet“, so der LBV-Vorsitzender Dr. Norbert Schäffer. Laut Roter Liste von 2021 gelten die Hälfte der existierenden Wildbienenarten als selten bis extrem selten. Bei den Brutvögeln und Tagfaltern sind über die Hälfte gefährdet und bei den Kriechtieren sogar 90 Prozent. „Die Mooshummel, der Apollofalter und die Uferschnepfe stehen stellvertretend für viele Arten in Bayern, die eine strukturreiche Landschaft mit intakten, vernetzten Lebensräumen und weniger Pestiziden brauchen, damit sich ihre Anzahl regenerieren kann.“
Bei den Lebensräumen zeichnet sich ein ähnliches Bild: Lediglich weniger als ein Drittel der FFH-Schutzgebiete außerhalb der Alpen befinden sich in einem guten Zustand. Der im März 2023 zum ersten Mal veröffentlichte ‘Bericht zur Lage der Natur‘ bestätigt die Dramatik des Verlusts der Artenvielfalt, insbesondere auf Äckern und im Grünland. „Die Natur braucht Zeit, um sich zu regenerieren und einige Maßnahmen werden erst in den kommenden Jahren ihre volle Wirkung entfalten und eine Verbesserung des Zustands der Lebensräume und Arten bewirken. Jahrzehnte der Zerstörung können nicht in fünf Jahren zurückgedreht werden. Die Umsetzung des Volksbegehrens gleicht einer Bergtour. Wir sind gut ausgerüstet an der Mittelstation angekommen. Das steilste Stück Weg zum Erreichen des Gipfels steht uns jedoch noch bevor“, sagt Norbert Schäffer.
„Die Artenvielfalt im Freistaat wird nicht durch Schönrechnerei gerettet. Unser Monitoringbericht zeigt, dass 70 Prozent der Maßnahmen bisher nur unzureichend umgesetzt werden oder aufgrund mangelnder Daten nicht abschließend bewertet werden können. Aktuell werden nur knapp ein Drittel der Maßnahmen gut umgesetzt“, erklärt Ludwig Hartmann, Vizepräsident des Bayerischen Landtags (Bündnis 90/Die Grünen).
Einige Zwischenziele wurden bereits erreicht, jedoch zeigen die Auswertungen, dass die verbleibenden Schritte besonders schwer zu bewältigen sind. „Die durchgeführten Maßnahmen nur aufzusummieren, ist nicht aussagekräftig. Die Ziele und Maßnahmen müssen unterschiedlich gewichtet werden: Für die Artenvielfalt ist es beispielsweise viel wertvoller, einen echten Biotopverbund aufzubauen, als nur eine Broschüre zur ökologischen Gestaltung von Grundstücken herauszugeben. Oder nehmen wir die Halbierung des Pestizideinsatzes: Dieser Schritt wäre ein echter Gewinn für die Artenvielfalt, während die Erstellung eines Berichts zum Ökolandbau vergleichsweise wenig bewirkt“, betont Ludwig Hartmann weiter. Die Erfüllung zahlreicher kleiner Maßnahmen kann die mangelnde Umsetzung der großen Ziele nicht ausgleichen. Entscheidend ist, dass sich die Landschaft verändert und wir mehr intakte Lebensräume und mehr Artenvielfalt erreichen.
Das übergeordnete Ziel des Weltnaturvertrags von Montreal und der EU-Biodiversitätsstrategie ist es, den Artenverlust bis zum Jahr 2030 zu stoppen und gestörte Ökosysteme wiederherzustellen. Bayern ist Vorreiter mit dem Volksbegehren "Rettet die Bienen!" und hatte viele dieser Ziele schon 2019 gesetzlich verankert. „Das Ziel, Pestizide bis 2030 zu halbieren, ist Teil aller internationaler Vereinbarungen und soll in Bayern schon 2028 erreicht werden. Auch die Steigerung des Ökolandbaus findet sich in der EU-Biodiversitätsstrategie wieder. Hier ist Bayern sogar noch etwas ambitionierter mit 30 statt 25 Prozent. So tragen beispielsweise die Förderung von Streuobstwiesen, der Schutz von arten- und strukturreichem Grünland oder die Steigerung von späten Mahdterminen im Grünland direkt zur Umsetzung der internationalen Ziele zur Wiederherstellung von Lebensräumen und zur Verbesserung der Populationen von Bestäubern, Schmetterlingen und Vögeln bei. Die Ziele des Volksbegehrens umzusetzen, bedeutet internationalen Verpflichtungen nachzukommen“, sagt Claus Obermeier, Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung (GLUS).
„Von den insgesamt 32 bewerteten Indikatoren sind neun im grünen Bereich, sechs im gelben und sechs im roten. Bei fünf Indikatoren werden zwar die Zielwerte erreicht, eine Einschätzung der Qualität steht aber aus. Und bei einigen der Punkte ist eine abschließende Bewertung aufgrund mangelnder Daten leider immer noch nicht möglich. Der Bericht befasst sich vordergründig mit der quantitativen Analyse der Ergebnisse. Wichtig ist bei der Umsetzung der Ziele jedoch nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität sowie die Flächenwirksamkeit der einzelnen Maßnahmen. Der Schwerpunkt der bayerischen Staatsregierung sollte daher auf der zielführenden Umsetzung des Ausbaus des Ökolandbaus, des Aufbaus des Biotopverbunds, der Reduktion der Pestizide, der Verbesserung der Gewässerstrukturen und des Erhalts der Streuobstwiesen liegen“, bilanziert Prof. Dr. Roman Lenz, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen: