„Du meine Trudel Du - Dein Fritz“. So begannen und endeten die meisten Briefe Fritz Koenigs an Trudel. - Foto: Andreas M.H. Ruef
Landshut - pm (24.06.2024) Es war ein Spätsommertag im Jahre 2009 als mich der Ruf zu einer Besichtigung in Moosburg ereilte. Frühe Arbeiten Fritz Koenigs wären zu besichtigen. Als Auktionator des ältesten deutschen Auktionshauses (seit 1844) ist man mit solchen Anfragen vertraut.
Eine Straße am Rande der Stadt - Mehrfamilienhaus - zweiter Stock. Auf mein Läuten erschien eine kleine freundliche Dame an der Türe und bat mich einzutreten. Trudl war Pianistin, eine angenehm freundlich lächelnde Dame mit wachen Augen.
Ich begutachtete in einem sehr stilvoll eingerichteten Wohnzimmer die frühen Koenig Arbeiten und wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie seit frühester Jugend mit Fritz befreundet war, durch den ganzen Krieg hindurch und ihn dann 40 Jahre nicht mehr gesehen hatte.
Kaffee wurde mir angeboten und sie saß mir gegenüber auf der Couch. Plötzlich holte sie einen dicken schweren Aktenordner hervor und fing zu lesen an.
Ich war wie elektrisiert! Feldpostbriefe von Fritz Koenig. Landschaftsbeschreibungen aus Ungarn, aus der Ukraine… Pferdeherden und wogende Sonnenblumenfelder, Gedichte und Worte eines jungen Mannes, ausdrucksstark, bewegend und ungeheuer feinfühlig in seiner Ausdruckskraft.
Was geschieht mit diesen Briefen wenn Sie nicht mehr sind fragte ich? Ich werde sie vernichten kam die Antwort. Wirklich? Aber das sollte man nicht tun, wendete ich ein, es sind Zeitdokumente des größten deutschen Bildhauers. Ich versuchte einen Brief zu lesen, aber konnte die Handschrift nicht entziffern. Ein Blatt Papier war mit fünf oder sieben Zeilen gefüllt in einer Art kalligraphischen Schrift… es war unmöglich dies zu lesen.
Was halten sie davon, kam meine Frage, wenn wir sie übersetzen? Ich bin fast wöchentlich immer Freitags auf dem Weg in den Bayerischen Wald… und könnte bei ihnen vorbeikommen? Nur um die Briefe zu sichern, aufzuheben… zu erfassen… ihnen eine neue Heimat zu geben, bevor sie vernichtet werden? Auf keinen Fall hatten wir vor sie zu verlegen, oder gar der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sie vorzutragen, oder vorzulesen … zu intim, abgesehen vom persönlichen Copyright des Verfassers. Es wäre „post mortem“ oder „ante mortem“ eine grobe Verletzung für den Bildhauer Fritz Koenig gewesen. Denn diese Briefe geben Aufschluss über intensive gegenseitige Wertschätzung und künstlerische Prozesse und sind sozusagen eine Hommage an das Briefe schreiben - eine Kunst, die in unserer heutigen Zeit zunehmend zu schwinden scheint.
Sie lächelte mich an und sagte: Einverstanden, gut, so machen wir es. Wir besprachen unser weiteres Vorgehen und schworen gegenseitiges Stillschweigen über unser Vorhaben, Fritz Koenig durfte es selbstverständlich zu Lebzeiten nicht erfahren.
Zwei Jahre lang, immer Freitags fuhr ich nach Moosburg mit meinem Laptop in der Tasche. Über 135 Briefe hat sie mir diktiert.
Mein großer Dank gilt also Trudl, für viele Caffé-Correttos, viele liebevoll hergerichteten Brote, als mundgerechte Happen, mit Paprika, Gurken, Käse, in einer Glasschale, immer zu einem kleinen Turm aufgerichtet, mal überbacken, mal natur, stets dankbar angenommen von mir.
Ihr Engagement, ihre Zeit, es hatte Priorität, es war ihr wichtig, zwei Jahre, durch alle Jahreszeiten hindurch, viele Korrekturen hat sie geduldig gelesen und war unserem Vorhaben stets wohlwollend gewogen.
Im Frühjahr 2012 war es dann soweit, der letzte Brief war diktiert und lektoriert. Ich fuhr nach München-Schwabing zum Buchbinder. Wochen später hielten wir es in der Hand. In grauen Leinen gebunden, stand vorderseitig in geprägter Goldschrift: „Du meine Trudel Du - rückseitig: Dein Fritz“.
Zwei Exemplare wurden gebunden, eines für sie, eines für mich.
Nach ein paar Monaten rief sie mich an, sie hatte mit ihm telefoniert und er wolle sie sehen. Da sie gesundheitlich nicht mehr so gut beisammen war und auch kein Auto besaß, bot ich mich an und wir fuhren gemeinsam auf den Ganslberg. Ich war lediglich der Chauffeur und hielt mich devot im Hintergrund - nicht wie bei anderen Besuchen - es gab Tee und lange Gespräche und Trudl hakte sich am koeniglichen Arm unter und man besichtigte die Afrika-Halle. Ich blieb im Hintergrund, den großen Berner Senn mit Köstlichkeiten aus meiner Jackentasche versorgend.
Trudl verstarb im Juni 2017, die Original-Briefe sind bis heute verschollen.
Der deutsche Publizist und Verleger Gerhard Beckmann schrieb 1998 in Welt-Online:
„…..denn kein Bildhauer seiner Generation hat den Halt von Paaren im Fallen,
hat das Gedenken des Lebens im Tod
so gültig gefaßt wie er,
so abstrahiert
und doch zugleich so human.
Text: Andreas M.H. Ruef